Leseprobe aus dem Buch “Die Beamtenrepublik”

 

Leseprobe

Der universitäre Beamte

Was gibt es Höheres als Schullehrer? Hochschullehrer. Auch wenn sie infolge der für sie etwas ungemütlichen Jahre um 1968 ihre Talare mit dem Muff von 1000 Jahren nur noch heimlich tragen, so sind die deutschen Professoren doch nach wie vor ein stolzer Stand. Und ein ganz besonderer noch dazu: Zum einen sind Professoren in der Bundesrepublik Beamte und genießen die damit verbundenen Privilegien - was die Mehrzahl von ihnen auch als eine Selbstverständlichkeit empfindet, stehen Professoren doch schon seit 600 Jahren unter dem Schutz wechselnder Obrigkeiten. Zum anderen brauchen sie es aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung nicht mit allen der sagenumwobenen "hergebrachten Grundsatze des Berufsbeamtentums" so genauzunehmen wie andere "Staatsdiener" So hat sich der einfache Beamte "mit voller Hingabe" seinem Dienst zu widmen, ein "guter" - sprich: geschäftstüchtiger - Professor hat dafür gar keine Zeit.

Schließlich hat er schon viel Zeit zuvor verloren: Der Weg zum Professor in der Bundesrepublik ist lang. Studium, Promotion und Habilitation verlangen so viel Zeit, dass die Professur erst im Alter von ungefähr 40 Jahren angetreten werden kann. Und der Weg endet nicht immer am gewünschten Ziel: Während die Leistung eines gestandenen Lehrstuhlinhabers im Grunde von niemandem mehr kontrolliert werden kann, tragen Jungwissenschaftler ein hohes Risiko. Ob sie nach der Habilitation irgendwo einen freien Lehrstuhl bekommen, ist höchst ungewiss; und wenn es nach der  Habilitation nichts wird mit einer Berufung, dann bleibt mitunter ......

Der Fall Litfin

Manche Professoren sind sogar nur an einem einzigen Tag pro Woche an ihrer Hochschule. Zu dieser Spezies gehörte jahrelang Karl Kurz, seines Zeichens Prof. Dr. rer. pol. und Dekan des Fachbereichs Steuerwesen an der Fachhochschule Worms. Montag war stets sein großer Kampftag an der rheinland-pfälzischen Hochschule Da brannte er sein Vorlesungsfeuerwerk im Rekordtempo ab - um anschließend schnell ins Auto zu springen und nach Düsseldorf zu seinem "Nebenjob" zu sausen. In der nordrhem-westfälischen Landeshauptstadt erfüllte Kurz dann die Pflichten, die aus einem Angestelltenvertrag erwuchsen und verbrachte 38,5 Stunden pro Woche in der Geschäftsstelle der örtlichen Wirtschaftsprüferkammer. Bis er samstags wieder zurück nach Worms spurtete, um bis tief in die Nacht den Verwaltungskrempel, der sich auf seinem Dekanatsschreibtisch angesammelt hatte, wegzuarbeiten. Für Kurz geschah dies alles nur zum Wohle der Lehre, wie er der Bild-Zeitung verriet: "Ich wollte in Düsseldorf Erfahrungen für meine Vorlesun- gen sammeln, habe dadurch das Niveau angehoben. Davon haben die Studenten profitiert."

Vielleicht würde der Herr Dekan das bis heute noch so halten - wäre ihm nicht ein Kollege in die Quere gekommen: Peter Martin Litfin. Denn der Steuerexperte - früher selbst Dekan des Fachbereichs, bis er von Kurz abgelöst wurde - hatte aus Rache seinen Nachfolger angezeigt. Litfin hatte eine Schwachstelle entdeckt, mit der er nicht nur Kurz ärgern konnte: Zwar sind professorale Nebentätigkeiten grundsätzlich erlaubt, aber das Beamtenrecht verbietet eine Doppelalimentation aus Steuermitteln. Das bedeutet, dass Erlöse aus Tätigkeiten bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wie etwa der Wirtschaftsprüferkammer abgabepflichtig sind. Nur wenn die Professoren für Privatfirmen tätig werden oder sich für Forschungsaufträge einspannen lassen, dürfen sie das Geld einfach behalten. Der Fall kam - sowie die Fälle von drei weiteren vielbeschäftigten Wormser Hochschullehrern - vor das Verwaltungsgericht Kurz wurde 2001 zur Rückzahlung von knapp 250000 Euro verurteilt, weil er die Einkünfte aus seiner Düsseldorfer Tätigkeit nicht ordnungsgemäß abgeführt hatte.

Hintergrund für die ungewöhnliche Klage Litfins war ein etwa ein Jahrzehnt dauernder bizarrer Kleinkrieg, den - je nach Sichtweise - er gegen die restliche Professorenschaft an seinem Fachbereich oder diese gegen ihn führte. Laut Litfin, Verfasser des Standardwerks Die Prüfung der steuerberatenden Berufe und seit 1977 in Worms, hätten "systematische Ausgrenzung" und "übelstes Mobbing" Anfang 1993 dazu geführt, ihn "vom Prüfungsgeschehen fernzuhalten". Fakt ist: Nachdem der Professor seinerzeit bei einer Klausur 28 von 30 Prüflingen mit der Note "5,0" glatt hatte durchfallen lassen und lediglich zwei gerade mit "4,0" bestanden wurden ihm keine prüfungsrelevanten Fächer mehr zugewiesen. Fortan musste er vor leeren Sälen lehren - oder besser: hätte lehren müssen. Er tat es aber nicht, weil er den vom Fachbereich erhaltenen Vorlesungsplan für "reine Willkür" hielt. Was er stattdessen machte? "Ich gehe für 10000 Mark im Monat spazieren", spottete Litfin. Er reiste viel, lebte monatelang in Florida, schrieb Bücher und etliche Leserbriefe, betätigte sich als Hobbyhistoriker - und forschte via Internet nach den Nebentätigkeiten seiner Kollegen. In die Hochschule kam er ansonsten nur noch, wie er sagte, "weil ich meiner Frau zu Hause nicht auf den Wecker fallen will". Der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) zeigte sich hilflos: "Die besondere Persönlichkeitsstruktur des Herrn Litfin, das Organisationsgeschick der Fachhochschule Worms und die Möglichkeiten von rechtsstaatlichen Mitteln im öffentlichen Dienst lassen Lösungen leider nicht so schnell zu, die für jeden normalen Mitbürger auf der Hand liegen würden."

Zeitungen schrieben Mitte der 1990er Jahre über den angeblich "faulsten Professor Deutschlands". Der hingegen bezeichnete seinen Fachbereich als "fachlich eine Wüste und menschlich die Hölle" Als er ihn auch noch als "korrupten Sauhaufen" titulierte, handelte sich der skurrile Professor dafür ein Disziplinarverfahren ein, das mit der Verhängung einer Geldbuße endete. Aber Litfin schimpfte nicht nur, er klagte auch gegen seine Hochschule. Anfang 1996 bescheinigte ihm das rheinland-pfälzische Oberverwaltungsgericht dass er seit Jahren "nicht mehr zu Hochschulprüfungen hinzugezogen", also "nicht mehr amtsbezogen verwendet wird". Die Ausgrenzung des Kollegen sei rechtswidrig, urteilten die Richter Es dauerte allerdings noch einmal zwei Jahre, bis Litfm wieder eine Vorlesung mit prüfungsrelevantem Stoff halten durfte. Aber nur ein Student kam in seine Veranstaltung. Der Grund: Der von Litfin vermittelte Stoff wurde auch von einem anderen Professor gelehrt und geprüft. Der wiederum stellte seit Jahren bei Tests dieselben Fragen. Litfin schäumte: "Ich kann doch nicht mit jemanden konkurrieren, der bei den vergangenen zwölf Klausuren jeweils die gleichen Fragen gestellt hat. Die Studenten haben die Lösung schon auf eine CD gebrannt."

2000 war die Wormser Fachhochschule den Querkopf endlich los: Ihm wurden "Forschungssemester" bewilligt. Nun ist ein Forschungssemester üblich, zwei bereits eine große Ausnahme - Litfin erhielt gleich drei. Die reichten bis zu seiner wohlverdienten Emeritierung 2002. Von Ruhestand kann seitdem allerdings nicht die Rede sein: Seinen unermüdlichen Kampf gegen seine ehemalige Kollegenschaft führt er bis heute weiter munter fort - im Internet unter:

www.litfin-germany.de

Medienstimmen

Pascal Beucker, Frank Überall: Die Beamtenrepublik. Der Staat im Würgegriff seiner Diener?. Campus Verlag 2004. 276 S., gebunden EUR 21,90/EUA 22,60/SFR 38,50 ISBN 3-593-37335-1

Links:

 www.campus.de

www.beamtenrepublik.de

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